21. März 2014

Ich machte die Schachtel auf und dann…

von Nora 

 Man, was ist es spät! Aber noch eine Station, dann werde ich endlich zu Hause sein! Die Schreibwerkstatt ist mir einfach zu spät. Schade, dass dieser Kurs mir so gut gefällt, sonst hätte ich ihn schon längst aufgegeben. 
 Oh, die nett aussehende, junge Frau, die eben aus der Bahn ausstieg, vergaß diese interessant aussehende Schachtel da vorne. Mist, wäre mir das früher aufgefallen, hätte ich ihr sofort Bescheid gegeben, die junge Frau sah sehr nett aus.
Was da wohl drin ist? Ich glaube, ich schaue lieber mal nach, vielleicht steht ihre Anschrift in dieser Schachtel, oder auch die Telefonnummer.
Ich torkele zur Schachtel und versuche, mich durch den Deckel zu kämpfen, um sie zu öffnen. Doch nichts zu machen. Also klemme ich sie mir unter den Arm und nehme sie mit zu mir nach Hause. Zu mir, in meine einsame Wohnung. Gleich kommt ja meine Haltestelle. Vielleicht ist die Schreibwerkstatt für mich ja nur dazu da, um unter Gesellschaft zu sein? Das mag durchaus sein. Auf meiner Arbeit habe ich zwar Kontakt zu den Kunden, aber da ist mir natürlich auch niemand näher…
So, hinter der nächsten Parkbank liegt schon meine Straße. Ich glaube, ich werde die Schachtel einfach dort abstellen und erneut versuchen, sie öffnen, langsam wird sie echt schwer.
  Doch wie kann ich sie aufbekommen?                                     
  Ich puhle am Deckel und bekomme sie schließlich doch noch auf.
Sie öffnet sich wie von selbst! Dann schaut ein Kopf heraus. Und ich sehe eine Hand, die aus der Schachtel herauslugt. „Könntest Du mir mal bitte helfen?“, fragt mich dieser Junger Mann, der zu dem aus der Schachtel hervor lugendem Kopf gehört. Doch ich kann ihm nicht helfen. Ich staune nur. Doch tatsächlich: Ein junger Mann, etwa in meinem Alter, entsteigt der Schachtel. Wow, sieht der gut aus!
Mein Mund ist weit geöffnet und bleibt es auch, ich kann nichts dagegen tun.
„Vielen Dank für meine Befreiung! Man, was war es eng in dieser kleinen Schachtel! Das war echt frech von Laura, mich in so eine kleine Schachtel zu sperren! Ich bin Tommy. Und wer bist Du?“, fragt mich der junge Mann, der zu dem hübschen Kopf gehört.
„Ich bin Lisa“, stottere ich. „Und wer ist Laura? Und warum und wie hat sie Dich in diese Schachtel gesperrt?“, frage ich verwirrt.
„Hallo Lisa! Ach, Laura ist nun Vergangenheit. Die Zukunft gehört Lisa“, strahlt mich Tommy an. Doch Moment, das geht mir gehörig zu schnell! Ich bin zwar schon einsam, aber trotzdem glücklich. Und das möchte ich auch bleiben, glücklich, da einsam. So sage ich zu Tommy: „Das ist schön für Dich, dass Du eine Lisa hast, mit der Du Deine Zukunft teilen kannst. Denke ich zumindest, dass es sicherlich schön für Dich ist. Für mich wäre es zwar am schönsten, allein zu bleiben, doch kann ich diejenigen verstehen, die es lieber anders hätten. Also verstehe ich auch Dich, Tommy. Und ich freue mich für Dich, dass Du eine Lisa kennst, mit der Du Dein Leben teilen kannst.“ Ich blicke den nun verdutzt wirkenden Tommy tief in die Augen und frage ihn: „Wo wohnst Du denn Tommy? Treffen wir uns mal wieder? Ich bin jede ungerade Woche um diese Zeit in dieser Bahn. Ich würde Dich aber bei unserem nächsten Treffen aber gern in einer anderen Situation sehen, nicht immer aus so einer kleinen Schachtel kriechend. Bist Du übernächste Woche wieder hier?“, frage ich hoffnungsvoll.
Ich verstehe das nicht, doch auf einmal steht Tommy gar nicht mehr vor mir. War das nur ein Traum? Schade. Doch ich werde voller Hoffnung in zwei Wochen wieder in dieser Bahn sitzen. Und mal sehen, ob ich dann wieder eine interessant aussehende Schachtel finde. Oder einen interessant aussehenden jungen Mann.

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