14. Januar 2009

Die Schuld(-frage)

von Nora 
"Ich habe die Liebe meines Lebens durch einen - leider selbst verursachten - Unfall verloren und sie dabei nahezu zu Schrott gefahren. Sie hat mich dadurch vergessen und vergisst nun auch sonst noch sehr viel." Kann man mit diesem Schuldbewusstsein leben? Ich denke mal, dass das auch der Grund ist, warum mein Ex-Freund mir die Schuld zuzuschieben versucht, 2004 Fahrerin des Motorrades, mit dem wir beide verunfallten, gewesen zu sein. Ob er es inzwischen schon völlig aus seinem Bewusstsein verdrängt hat, der Fahrer gewesen zu sein? Ich glaube, ich muss mich zunächst erstmal vorstellen: Hallo, ich bin Nora, und ich hatte im Jahre 2004 einen schweren Motorradunfall, wobei ich als Sozius - laut eindeutigen Augenzeugenberichten - durch die Luft geflogen bin und mir so ein Schädelhirntrauma 3. Grades einholte, da mein Exfreund - so die Augenzeugen - zu schnell fuhr und die T-Kurve nicht schaffte. So jedenfalls berichten es die Augenzeugen. Ich selber habe weder an die Fahrt noch an den Unfall selber Erinnerungen. Mein Ex-Freund behauptet aber, ich wäre die Fahrerin gewesen. Nur, wieso nur sollten die Augenzeugen denn bitte lügen?! Gut, vor Gericht wurde mein Exfreund als Fahrer für unschuldig erklärt. Aber ich denke mal, dass er gute Anwälte hatte und es heißt ja: "Im Zweifel für den Angeklagten". So, D., nun frage ich Dich: Wie lebt es sich mit dieser Schuld, nicht nur mich so "zu Schrott" gefahren, sondern auch gleich noch die eigene Unschuld vor Gericht erreicht oder besser: "herbeigezaubert" zu haben, obwohl Du doch selbst der Fahrer gewesen warst?! Denn wenn man - so wie ich - den Augenzeugen glaubt, war ich ja Sozius, während Du fest an mein Motorrad geklammert warst!?! Und Du hattest ja einen Schulterriss, worüber Du froh sein kannst. Aber wie kommst Du mit dem Wissen klar, dass Du ganz ohne eine Verletzung davon gekommen bist, während die geliebte Sozius nun sowohl ihren Berufswunsch ändern muss (ich war vor dem Unfall noch eine (BWL-)Studentin gewesen und bin nun nicht einmal mehr in der Lage, eine Ausbildung zu erlernen) als auch Dich noch nicht einmal mehr weiter liebt, da ihr jegliche Erinnerungen fehlen?! Ja, D., und es tut mir noch nicht einmal leid, dass ich nun auch mein Liebesleben komplett geändert habe. Im Gegenteil: Ich bin echt glücklich mit meinem neuen Freund C. Und ich bin mir auch sehr sicher, dass er mich - in einem ähnlichen Falle - nicht falsch beschuldigen würde. Abgesehen davon würde ich mich auch nie wieder auf ein Motorrad setzen. Ich weiß, dass es bei Dir nicht sonderlich lange gedauert hat, bis Du Dich wieder auf eine Maschine gesetzt hast. Aber Du bist ja auch nicht schuldig, und anscheinend fuhrst Du da besser als mit einem Sozius. Und Du kannst weiter Chemie Studieren, oh, ich unterschlug es: sogar promovieren!!! Ja, studieren würde ich schon gern wieder weiter, am liebsten etwas Mathematisches. Aber ich weiß, dass das nun nicht mehr geht. Pech halt. Aber ich kann mich immer an C, an meinen neuen Freund, lehnen, der immer für mich da ist und auch immer ein Ohr für mich bereithält. Und so lebe ich einfach - ganz unmathematisch - mein Leben. Doch, mein heutiges Leben weicht absolut stark von all meinen früheren Plänen ab, aber - komischerweise - habe ich doch noch meine glücklichen Momente. Auch mein Berufsleben entspricht allemal nicht dem, was ich geplant habe: Ich bin nun nicht Controllerin geworden, sondern arbeite in einer WfbM, in einer Werkstatt für behinderte Menschen, aber es gefällt mir wirklich sehr da. Ich merke, wen ich dort als "einen Freund von mir" bezeichnen kann, jetzt, wo ich wieder in einer Reha liege. Es sind wirklich viele von den Kollegen, mit denen ich dort arbeite. Und ich bin froh, inzwischen etwas Sinnvolles mit meiner Zeit zu tun und nicht nur für die Therapien zu leben. Therapien habe ich zwar - massenweise - weiterhin, aber die laufen eher so "nebenbei" ab. Und man kann auch Fortschritte erkennen! Ja, D., Du hast mein Leben komplett umgekrempelt. Ich bin zwar nicht froh darüber, mache aber das Beste daraus und habe auch Leute gefunden (C ist nur einer von denen), die mir zeigen, wie man lebt und dass das Leben es auch wert ist, zu leben! D., und wie sieht Deine Lebenschemie aus? Findest Du eine befriedigende Ballance? Du hast zwar Dein Studium, aber hast Du auch Lebensfreude? Hast Du so liebe Menschen um Dich, wie ich, die Dich stützen? Ich kann es mir nicht vorstellen. Das ist zwar schade für Dich, mir ist das aber auch egal...

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