von Sarah Kamal
Es war bereits der Nachmittag des 20.12. um 17 Uhr als das Telefon im Alten- und Pflegeheim in der Hintertüpfstraße in Göttingen klingelte. "Es ist für Sie, Frau Meier", sagte Pfleger Achim und holte Frau Meier ans Telefon. "Hallo Mama, wir können Weihnachten doch nicht kommen. Die Kinder sind krank. Tut mir leid, vielleicht nächstes Jahr", sagte Andrea zu ihrer Mutter. "Ja, ok. Gute Besserung für die Kleinen", sagte Gerda. "Ja, Mama, ich muss jetzt auch Schluss machen, tschüss." Gerade legte den Hörer hin und Achim fragte: "Sie haben mal wieder abgesagt, oder?" Gerda nickte nur und schlürfte in ihr Zimmer.
Am nächsten Morgen brachte ihr Pfleger Thomas ihr Medikament und wollte sie fürs Frühstück wecken. Nachdem sie ihn nur angrummelte, kümmerte er sich nicht weiter um sie. Am Abend hatte Achim wieder Schicht. Als er bemerkte, dass sie ihr Medikament nicht genommen hatte und den ganzen Tag nichts gegessen hatte, schloss er sie an einen Tropf und brachte ihr Abendessen. Achim beschwerte sich bei Thomas, dass er nicht genug auf die alte Dame geachtete habe, aber der verteidigte sich nur: "Ja, Gott, was soll ich denn machen, wenn die Alte nichts essen will. Es ist doch jedes Jahr um die Zeit dasselbe Theater mit ihr. Ichhabe auch noch anders zu tun. Achim wurde wütend: "Ja, ist doch klar, weswegen sie resigniert ist, Sie ist 83 Jahre alt, lebt seit 5 Jahren im Altersheim und ihre Familie hat es nicht einmal hingekriegt, ein Weihnachtsfest und eine Silvesternacht mit ihr zu verbringen. Und das, obwohl sie in derselben Stadt wohnen. Ihre Enkel sind auch schon fast Teenies und trotzdem kommen sie wenns hochkommt, einmal im Jahr. Möchte du so alt werden, Thomas?" Dieser reagierte nicht. Er ging einfach weg.
Am nächsten Abend kam Tina, die Enkelin von Isolde ins Altersheim, um ihre Oma zu besuchen. Betrat man das Altersheim, kam man praktisch gleich in den Gemeinschaftsraum. Dort saßen Gerda, Egon und Herbert. Sie saßen einfach dort, es lief kein Fernseher, kein Radio und sie unterhielten sich auch nicht. Tina begrüßte die alten Leute, stellte sich vor und frage nach ihrer Oma. Doch sie wurde nur angeschwiegen. Ein Seufzer ertönte und Gerda, die ein Bild von ihrer Familie im Arm hatte, weinte leise. Tina erschrak. Achim kam und brachte die Kleine zu ihrer Oma. Tina fragte: "Oma, warum sitzen deine Freunde immer alleine in diesem Raum und warum sind sie immer so traurig?" Isolde erzählte Tina von Gerda, die von ihrer Familie vernachlässigt wurde. Von Egon, der schon fast 90 war und seine Familie und all seine Freunde überlebt hatte und vom senilen Herbert, der wohl wegen Zwecklosigkeit nicht mehr besucht wurde. Traurig verabschiedete sich Tina und ging nach Hause.
Beim Abendessen fragte sie ihren Betreuer Thorsten, wie es bei ihrer Oma war und sie erzählte ihm von den einsamen, alten Menschen, die in diesem Heim vor sich hinvegetierten und Weihnachten immer alleine waren. Da sagte Thorsten: "Das ist natürlich schlimm, aber da kann man nichts machen." Tina fasste sich ein Herz: "Doch, unser Heim für behinderte Menschen feiert doch auch Weihnachten und ob wir das hier oder da feiern ist doch egal, oder? "Jaaa", riefen alle begeistert. "Momentchen", rief Thorsten, "wer soll das denn alles bezahlen?" "Na dann geben wir halt alle ein bisschen was dazu, kochen selbst was und basteln für die alten Leutchen selbst Geschenke. Was haltet ihr davon?", schlug Tina vor.
Alle waren einverstanden und so fand am 24.12. ein großes Fest im Altersheim in der Hintertüpfstraße statt. Die behinderten Menschen brachten Essen und selbstgebastelte Geschenke. Als Gerda das sah, weinte sie. Egon lächelte über das ganze Gesicht und Herbert erinnerte sich an den Tag für immer. Er sagte: "Achim, geh zu deiner Familie. Heute ist Weihnachten."
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