12. August 2021

Nachruf einer Verstorbenen

von Marika Christiansen

Meine Oma Harms väterlicherseits wurde im März 1911 geboren. Sie wurde 1998 siebenundachtzig Jahre alt und verstarb dann. Zuletzt lebte sie 11 Jahre lang in einem christlichen Altenheim in Hamburg-Osdorf. Bevor sie in dieses Altenheim kam, hatte sie einen schweren Schlaganfall und war an der rechten Seite gelähmt. Ich bedauere ihren Tod sehr, denn ich lernte sie in meinem Leben sehr zu schätzen. Besonders hat es mir immer gefallen, wenn sie mit meinem Vater und seiner Schwester Plattdeutsch sprach. 

Sie lebte längere Zeit mit ihrer Familie in Horst bei Itzehoe. Dort arbeitete meine Oma während des 2. Weltkrieges bei einem Bauern. Der Bauer gab ihr immer Lebensmittel mit, damit ihre Familie nicht hungern musste. Nach dem 2. Weltkrieg zog sie mit ihren beiden Kindern nach Hamburg in die Kampstraße. Später arbeitete sie bei reichen Familien im Haushalt. Meine Oma Harms war eine sehr gute Köchin. Auch backen konnte sie exzellent. Sie war die perfekte Haushälterin. Sie buk oftmals Mokkatorte, die meine Lieblingstorte war. Außerdem superleckeren Zitronenkuchen, der sehr saftig war. Sie war auch eine gut erzogene Frau und erwartete dieses ebenfalls von ihrem Umfeld.

Leider verstarb ihre erste Tochter mit nur fünf Jahren an Tuberkulose. Das war für meine Oma ein schwerer Schicksalsschlag, den sie nie so ganz verwand. Ihr Ehemann kam aus Nordfriesland. Leider fiel er früh als Soldat im 2. Weltkrieg. Meine Oma heiratete später ihren zweiten Mann, der Harms mit Nachnamen hieß. Deshalb nannten wir sie oft Oma Harms. 

Einmal übernachtete ich bei meiner Oma für eine Woche in der Kampstraße. Da war ich ca. 8 Jahre alt. Das fand ich sehr interessant. Ich liebte meine Oma sehr. Von ihr lernte ich zu lesen. Das war, als wir bei einem Friseur warten mussten. Für meine Oma trocknete ich immer nach dem Essen ab. Später wohnte ich nach dem Abitur auch mal für ein halbes Jahr bei ihr. Da wohnte sie allerdings schon in der Luruper Chaussee 109 im dritten Stock. Sie nahm mich gut bei sich auf. Ich ging dann öfters mit ihr im Volkspark spazieren. Einmal lud sie mich in das Bauernhaus am Volkspark zum Mittagessen ein. Das gefiel mir sehr. Mehrmals spielten wir in der Nähe vom Bauernhaus Miniaturgolf. Beim Miniaturgolfspielen gewann ich meistens gegen meine Oma. Man konnte mit meiner Oma über fast alles sprechen, außer über Sexualität, aber das hätte ich mich auch gar nicht getraut. In ihrer Generation war das auch nicht so üblich. Meine Oma nahm mich, als ich bei ihr wohnte, oft zu Verwandten mit und lud Nachbarn zu sich ein. Dann wünschte meine Oma sich immer von mir, ich sollte Gitarre spielen und dazu singen. 

Meine Oma hatte eine Schwester, die Erna hieß und 95 Jahre alt wurde. Die mochte ich auch sehr gerne. Diese hatte eine Tochter, die Vera hieß und die meine Großcousine war. Erika, die Tochter meiner Oma, hatte zwei Jungs, wobei der eine Manfred und der andere Wolfgang hieß. Diese sind eineiige Zwillinge und ca. ¼ Jahr jünger als ich. Meine beiden Cousins, meine Tante und ich haben alle eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Nur mein Vater hat Maschinenschlosser gelernt und einige Schifffahrtspatente gemacht. Meine Oma besuchte uns früher fast jede Woche in Hamburg-Eppendorf, was meiner Mutter so gar nicht in den Kram passte. Sie hat sich auch bei uns deswegen beschwert, d. h. bei meinem Vater und bei mir. Ich war ja noch ein Kind. Was konnte ich dafür? Außerdem habe ich mich immer auf meine Oma gefreut. Sie brachte mir oft Süßigkeiten mit, was meiner Mutter sehr missfiel. Sie meinte, das sei schlecht für die Zähne und reichlich ungesund. Recht hatte sie ja. Auch wollte meine Oma, dass ich Kleider und Röcke trug. Das passte meiner Mutter ebenfalls nicht, aber einmal zogen meine Eltern, meine Oma und ich los und kauften für mich ein Kleid. Ich fand es auch ganz hübsch. Es war ein rot-blaues Trägerkleid, welches ich gerne trug. 

Als ich 10 Jahre alt war, zogen wir von Hamburg nach Buxtehude. Da kam dann meine Oma auch hin und wieder zu Besuch. Das gefiel meiner Mutter aber nicht mehr. Dann haben wir meine Oma nur noch in Hamburg-Bahrenfeld besucht, bis meine Mutter auch das einstellte. Mein Vater und ich haben daraufhin meine Oma gelegentlich ohne meine Mutter besucht. Das war immer sehr schön, weil wir von Buxtehude immer mit dem Nahverkehrszug nach Hamburg reingefahren sind. Ich mochte das, weil mein Vater mir dann immer viele Fragen über Erdkunde gestellt hat. Das war nämlich mein schlechtestes Fach in der Schule und das beste von meinem Vater. Ich lernte trotzdem in Erdkunde nicht so viel, so dass ich immer zwischen der Schulnote drei und vier stand. Mir lagen Musik, Sprachen und Mathematik am besten. Darin hatte ich unter anderem Einser. 
Meiner Oma schenkten wir dann meistens Topfpflanzen, weil sie diese so gerne mochte. Ihr erster Mann war zufällig Zierpflanzengärtner von Beruf. Leider konnte ich ihn nicht kennenlernen. Er soll sehr gemütlich gewesen sein. Meine Oma fand ihn immer ein wenig zu langsam und langweilig, wie sie mir später als Erwachsene erzählte. 

Als ich ein halbes Jahr bei meiner Oma wohnte, durfte ich bezüglich des Rausgehens und Wiederkommens vieles. Sie verbot mir nur das Akkordeonspielen, weil sie meinte, das sei zu laut für ihre Nachbarn. Irgendwann zog ich in das Haus gegenüber von meiner Oma. Da wohne ich heute noch mit meinem 24-Jährigen Sohn. Als mein Sohn ca. 1 Jahr alt war, starb meine Oma. Ich war mit sämtlichen Verwandten bei der Beerdigung meiner Oma dabei. Meine Mutter passte während dessen auf meinen noch einjährigen Sohn in meiner Wohnung auf. Sein Vater war gerade in Bangladesch und besuchte dort seine Familie. Die Ansprache des Pastors in einer großen Kapelle war sehr anschaulich und enthielt noch Informationen von meiner Oma, von denen ich nichts wusste. Als Einzige musste ich während der Rede des Pastors weinen. 

Ich hatte meine Oma auch oft im Altenheim besucht. Meine Oma saß in der Zeit, in der sie noch im Altenheim lebte, immer im Rollstuhl oder auf ihrem Sofa, manchmal auch in ihrem Sessel. Schön war auch dort der Geburtstag von ihr. Ich machte davon noch einige Fotos. Einmal besuchte ich mit meiner Großcousine ihr anonymes Grab. Leider konnte ich mir den Platz, unter dem ihr Sarg liegt, nicht merken, so dass ich sie dort nicht wieder besucht habe. Oft träumte ich aber noch sehr lange von ihr. Sie bleibt für mich trotz der Umstände unvergessen. Sogar mein Sohn hat sie als Säugling kennengelernt bzw. meine Oma ihn. Natürlich kann er sich daran nicht mehr erinnern. Er war noch zu jung dafür. Manchmal erzähle ich ihm jetzt noch von meiner so tollen Oma.

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